Europa in Metaphern - Quer durch die Disziplinen
CERC-Projekt von Daniela Pirazzini
In der interdisziplinären Forschung und Lehre zu Fragestellungen, wie in Deutschland und Frankreich Europa und seine Kulturen konstruiert, praktiziert und kritisiert wurden und werden, spielen Metaphern eine wesentliche Rolle. Denn unsere Kulturen – gleichermaßen von der Natur und von dem Menschen geprägt – sind von ihren Metaphern abhängig: Diese gehören bekanntlich zu den wichtigsten Mitteln zur Erkenntnis und Reflexion von komplexen Sachverhalten oder Handlungen, die unsere kulturellen Strukturen zusammenhalten. Indem Metaphern unser Weltwissen prägen, tragen sie wesentlich dazu bei, kulturelle Bereiche zu konstruieren, die andernfalls sehr weit von der sinnlich erfahrbaren Realität entfernt blieben.
Die kulturkonstituierende Rolle von Metaphern wird besonders deutlich, wenn die gleiche Metaphorik sowohl im Diskurs der Naturwissenschaft als auch im Diskurs der Geisteswissenschaft ihre Anwendung findet. Das lässt sich mit dem folgenden Beispiel veranschaulichen. Ein Ausdruck, der gerade im französischen Diskurs eine starke Akzeptanz in seiner metaphorischen Verwendung gefunden hat, ist das Wort „mosaïque“. Diese Metapher kommt insbesondere im gegenwärtigen Diskurs über Integration und die kulturelle Dynamik innerhalb der EU vor:
L'Union européenne est comme une mosaïque: elle n'impose pas l'uniformité, au contraire elle vise à mettre en valeur la variété de chacune de ses parties à condition que celles-ci s'intègrent dans l'ensemble1.
Bemerkenswert ist daran, dass das sprachliche Bild des Mosaiks aus der Naturwissenschaft stammt. Es sind insbesondere Mathematiker, Biochemiker, Molekularbiologen und Genetiker, die auf diese Analogie aufmerksam geworden sind. „Le corps humain est une mosaïque génétique“ titelt zum Beispiel eine Studie von 2019.2 Virologen und Botaniker bezeichnen mit „virus de la mosaïque du tabac“ eine Pathologie aus der Pflanzenwelt, die „provoque des mosaïques, marbures et décoloration de feuilles chez cette plante de la famille des solanacées“.3 Der Astrophysiker Jean Audouze, der Neurobiologe und Philosoph Georges Chapouthier, der Architekt Denis Laming und der KI-Forscher Pierre-Yves Oudeyer zeigen in ihrer Studie „Mondes mosaïques: Astres, villes, vivant et robots“ von 2015 die Pertinenz der Mosaikmetapher für das Nachweisen von Analogien zwischen „quatre objets d'études apparemment profondément différents les uns des autres. Et pourtant, les analogies sont nombreuses. Tous ont un rapport très fort à la simplicité – la Nature, comme les hommes, choisit les procédés les plus simples possibles –, à la symétrie, à la cohérence“.4
Die weit verbreitete Auffassung, jeder Diskurs habe seine eigene Metaphorik im Gepäck, scheint in dieser Form nicht mehr uneingeschränkt haltbar. Vielmehr ist es nun von Interesse, die verschiedenen Formen von Metaphern zu untersuchen, die quer durch die Wissenschaften und über sie hinaus Europa und seinen Kulturen konstruieren. Denn es ist ein Charakteristikum der Metapher, Zusammenhänge zwischen Bereichen aufzuzeigen, die gemeinsam Europa in Bewegung halten.
Bibliographie
- 2020: Bibliographie der Metapher: https://www.bibliografia-metafora.uni-bonn.de/de
- 2019: Dans les années 2000, une partie des migrants et de leurs enfants est entrée en guerre contre la France“ (Marine Le Pen, 13. März 2017) – Mentale Modelle des Krieges im populistischen Diskurs des Front National. In: Issel-Dombert, Sandra, Wieders-Lohéac, Aline (Hg.): Die Krise als Krieg: Weltanschauungs- und Wortkampf populistischer Bewegungen in Krisenzeiten, München, Akademische Verlagsgemeinschaft München. S. 125-142.
- 2018: Diritti Annegati - Il Mediterraneo è un cimitero. Origini e modificazioni di una metafora: https://www.metaphorik.de/fr/journal/28/diritti-annegati-il-mediterraneo-e-un-cimitero-origini-e-modificazioni-di-una-metafora.html.
- 2017: Die Sprache des Terrorismus. „Was wir über Unkraut, Krebs oder Übel wissen, übertragen wir mental auf den Terrorismus.“ In: 42Magazine, Vol. 1 Terrorismus: https://fortytwomagazine.com/de/magazin/die-sprache-des-terrorismus/?cookie-state-change=1552930718402.