„Das politische Denken der Europäischen Union“ war das Thema des CERC-Salons Denkkulturen im Sommersemester 2023. Basierend auf seinem Buch mit demselben Titel hielt Prof. Dr. Ludger Kühnhardt, Direktor des Zentrums für Europäische Integrationsforschung (ZEI), einen Impulsvortrag, durch den weitere Anstöße für die Forschung am CERC gegeben werden sollten.
Während am CERC über Denkorte und -formen in der deutsch-französischen Verflechtung mit Blick auf Europa gearbeitet wird, prägt Ludger Kühnhardt den Begriff der „Denkwege“. Mit diesem Term soll veranschaulicht werden, dass wir uns auf dem Weg von einer globalen Ordnung in eine neue befinden; dieser Umbruch geschehe nicht von jetzt auf gleich, sondern er werde über Denkwege erreicht. Ludger Kühnhardt zeigte auf, dass die EU bisher einem konkreten Denkweg gefolgt sei, um innereuropäische Mechanismen zu bewältigen: jenem des euromissionarischen Modells. Doch seit 20 Jahren habe sich ein neues Narrativ gefestigt: nicht mehr Europa transformiert die Welt, sondern die Welt transformiert Europa. Die Herausforderung, die sich für Europa stellt, bestehe darin, Instrumente zu schaffen wie strategisch mit diesem neuen Narrativ umgegangen wird. In Bezug auf die Wissenschaft bestehe die Herausforderung darin, das Nachdenken über Europa und das Herangehen an die Frage, wie wir Europa erklären sollen, zu verändern. Ludger Kühnhardt ging außerdem darauf ein, dass die EU ein eigenes Genre politischen Denkens entwickele: Die Denkwege hin zu Ordnungen des politischen Denkens der EU verliefen spiegelverkehrt zu den Erfahrungen, die wir im Raum der Evolution des Nationalstaates gemacht haben. Dies verdeutlichte er an vier Beispielen: dem Staatsideal, den Grund- und Menschenrechten, der Rechtsgemeinschaft und der Machtfrage. Anschließend machte Kühnhardt deutlich, dass sich durch Emmanuel Macron eine neue Denkfigur in Europa gefestigt habe: die europäische Souveränität. Europa könne sich nur in der Welt behaupten, indem es souverän werde – abweichend von vorherigen Denkfiguren Jean Bodins (Souveränität des Fürsten), Jean-Jacques Rousseaus (Volkssouveränität) und Georg Jellineks (Staatsvolk, Staatsgebiet, Staatsgewalt).
In der anschließenden Diskussion zeigte sich, dass die Denkansätze von Ludger Kühnhardt sehr fruchtbar für das CERC sein können, da die Politikwissenschaft bisher nicht unter den Mitgliedern vertreten ist und Kühnhardts analytische Denkansätze das CERC voranbringen könnten. Michael Bernsen, Sprecher des CERC, formulierte zum Abschluss die Aufgabe des CERC, die aus dem Vortrag entstanden sei: Es müsse auch geschaut werden, was hinter den jeweiligen Denkordnungen stecke, vor allem auch in Hinblick auf die verschiedenen Denkordnungen in Deutschland und Frankreich.