In Gedenken an den Hamas Angriff auf Israel vor genau einem Jahr, am 7. Oktober 2023, konzentrierte sich die neueste Ausgabe des Deutsch-Französischen Strategischen Dialogs mit dem Titel „Ein Jahr nach dem 7. Oktober. Perspektiven und Herausforderungen“ auf die aktuellen Geschehnisse im Nahost-Konflikt, indem unterschiedliche Perspektiven, Herausforderungen und Stimmen speziell aus Frankreich, Deutschland und der Region diskutiert wurden. Als Gäste beehrten uns drei wissenschaftliche Experten auf diesem Gebiet: die auf Israel spezialisierte Historikerin Dr. Frédérique Schillo, der Politikwissenschaftler Jörg Dehnert von der Friedrich-Naumann-Stiftung MENA und die Autorin PD Dr. Evelyn Bokler mit Forschungsschwerpunkt auf dem politischen Islam.
Alle drei Redner haben sich der schwierigen Aufgabe gestellt, Worte für das zu finden, wofür es eigentlich keine Worte gibt und es entstand ein eindrucksvoller Dialog, in dem mit Rücksicht auf und Respekt für alle an diesem Konflikt beteiligten Parteien wissenschaftliche, politische aber auch persönliche Gedanken und Erfahrungen ausgetauscht wurden.
Direkt zu Beginn wurde das Trauma beschrieben, das die Wahrnehmung des Konflikts sowohl in der israelischen als auch in der palästinensischen Bevölkerung dominiert. Aus eigener Erfahrung konnte Frau Dr. Schillo von einem großen Zwiespalt in Israel berichten, der zwischen der Bevölkerung, dem Militär und der Regierung klafft. Zwischen lauten Rufen nach Waffenstillstand einerseits und einer klaren Forderung nach Sicherheit durch Beseitigung der Gefahr andererseits ist das Land innenpolitisch gespalten und gefordert.
Herr Dehnert erwähnte in diesem Zusammenhang, dass eine solche Spaltung in der arabischen Welt zwar nicht vorliege, die Einstufung der Hamas als terroristische Organisation in der öffentlichen Meinung jedoch in besorgniserregendem Maße abnehme . Auch Frau Dr. Bokler sprach von der Propaganda der Hamas, in welcher diese sich als angeblicher „Interessenvertreter“ oder „Befreier“ des palästinensischen Volkes darstelle und somit versuche, sowohl auf militärischer, als auch politischer und sozialer Ebene Einfluss auf die Bevölkerung zu nehmen.
Die Zwei-Staaten-Lösung, die vor dem 7. Oktober 2023 noch von einer knappen Mehrheit der Israelis als Zukunftsperspektive anerkannt wurde, gilt heute nicht mehr als solche.
Darüber hinaus wurde deutlich, dass der Krieg nicht nur im Nahen Osten zu einer Polarisierung und Radikalisierung führt, sondern in ganz Europa, wie ein kurzer Einblick in das Stimmungsbild an deutschen und französischen Universitäten sowie die gewaltsamen Ausschreitungen bei Demos und Protesten in den vergangenen Monaten verdeutlicht haben.
Folgender Aspekt wurde ausführlich diskutiert: möglicherweise hätten weder die Hamas noch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Interesse daran, den Krieg tatsächlich zu beenden, da in diesem Fall sowohl die Ideologie der Hamas als auch Netanjahu und die israelische Regierung an nationaler und internationaler Bedeutung verlieren würden. Ausgetragen wird dieser Konflikt in den Augen aller Diskutanten jedoch eindeutig auf dem Rücken der unschuldigen und in Lebensgefahr schwebenden Bevölkerung, die der Willkür der Führungsmächte der beteiligten Kriegsparteien ausgeliefert ist und tagtäglich auf eine Lösung hofft, die beide Seiten zufriedenstellt.
Die Referenten dieser Ausgabe des Deutsch-Französischen Strategischen Dialogs waren sich schließlich einig, dass nicht versucht werden sollte, von europäischer Seite politischen Druck auszuüben, sondern dass Deutschland und Frankreich Hand in Hand als Vermittler fungieren und Empathie für alle notleidenden Menschen in diesem Krieg zeigen sollten, auch unabhängig von historischen Verpflichtungen gegenüber Israel, die die deutsche Politik verständlicherweise prägen. Denn nur so könne das gegenseitige Vertrauen unter den verschiedenen Parteien wachsen und könnten langfristig menschenwürdige Lösungen gefunden werden.
(Carolin Pütz)